Sport und Diabetes

 

Sport und Diabetes mellitus 

Grundlagen und Anleitungen zur Durchführung und Organisation der Sporttherapie sowie des individuellen Freizeitsports bei Patienten mit Diabetes mellitus  

  SPORT und DIABETES MELLITUS 
  1. Zur aktuellen Situation "Sport in Diabetesgruppen" 
   2. Zur Pathophysiologie des Diabetes mellitus 
  3. Zur Wechselwirkung zwischen Insulin, Insulinresistenz und Risikofaktoren der Koronaren Herzkrankheit
  4. Zur Wirkweise und Bedeutung körperlicher Mehraktivität für den Diabetiker 
  5. Zur Organisation, Durchführung und Auswahl von Trainings- und Sportprogrammen 
  6. Zur Aus- und Fortbildung des Übungsleiters und betreuenden Arztes 
  7. Zum Angebot von Begleitprogrammen für den Teilnehmer von Diabetesgruppen (Diabetes-Vereinbarung vom 1.4.1990)
  8. Resümee
  9. Weiterführende Literatur 
 


SPORT und DIABETES MELLITUS 

Grundlagen und Anleitungen 
zur Durchführung und Organisation der Sporttherapie sowie des individuellen Freizeitsports bei Patienten mit Diabetes mellitus 

Empfehlung des Deutschen Sportärztebundes Sektion Rehabilitation und Behindertensport 

Prof.Dr.med. Berg, Freiburg; Dr.med.Blaumeiser, Koblenz, Prof.Dr.med. Franz, Todtmoos, Dr.med. Glatthaar, Nürnberg; Prof.Dr.med. Groher, Berlin; Prof.Dr.med. Halhuber, Bad Berleburg; Dr.med. llker, Hamburg; Prof.Dr.med.Rost (Sektionsvorsitzender), Köln; Frau Prof.Dr.med. Siegfried, Bibertal; Dr.med. Dr. jur. Traenckner, Wiesbaden und Dr.med. Tschirdewan, Bad Buchau in Zusammenarbeit mit 
Deutsche Diabetes Gesellschaft  
Ausschuß Schulung und Weiterbildung  
Vorsitzender Prof.Dr.med. H.R. Henrichs, Quakenbrück 
und 
Deutsche Diabetes Stiftung  
Kuratoriumsvorsitzender Prof.Dr.med. D.Grüneklee, Paderborn 
Federführend für den Inhalt der Empfehlung und Korrespondenzadresse: Prof.Dr.med. Aloys Berg 
Medizinische Universitätsklinik Freiburg, Abt. Sport- und Leistungsmedizin Hugstetter Str. 55, D-79106 Freiburg

 

 

1. Zur aktuellen Situation "Sport und Diabetes" 

In Deutschland gibt es heute ca. 4 Millionen Diabetiker. Mehr als 3 Millionen davon sind Typ-II-Diabetiker, ca. 200-300.000 Typ-I-Diabetiker; etwa 10.000 der Typ-I-Diabetiker sind Kinder bis 14 Jahre, etwa 10.000 Jugendliche und Heranwachsende unter 20 Jahren. Diese Zahlen verdeutlichen, daß Diabetiker in allen Altersgruppen einer besonderen medizinischen Betreuung bedürfen; entsprechend muß auch an der konkreten Lösung des medizinischen Problems "körperliche Aktivität bei Diabetes mellitus" oder "Sport und Diabetes" sowohl beim Typ-I als auch beim Typ-II Diabetes nicht nur auf wissenschaftlicher Ebene, sondern vor allem auch im Sinne einer praktischen Umsetzung durch den betreuenden Arztes am Wohnort gearbeitet werden. 

Diese Zahlen legen es nahe, ein umfassendes Sporttherapiekonzept für Typ-II Diabetiker und Empfehlung oder Anleitungen für den sporttreibenden Typ-I Diabetiker zu entwerfen. Eine Einrichtung, die mit dem bundesweit über die Deutsche Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von Herzkreislauf-Erkrankungen (DGPR) und regional über entsprechende Landesarbeitsgemeinschaften organisierten Konzept der Herzgruppen vergleichbar wäre, existiert bisher nicht. Zur Zeit werden therapeutisch orientierte Diabetessportgruppen auf Grund persönlicher Initiativen, d.h. als regionales oder lokales Angebot, oder aber im Rahmen zeitlich begrenzter, meist wissenschaftlich ausgerichteter Programme geführt. Angesichts der für den Typ-II-Diabetes hinreichend gesicherten und für den Typ-I-Diabetes sich abzeichnenden Erkenntnis, daß Sport und der mit dem Sport verbundene Lebensstil einen prognostisch günstigen Faktor darstellen, ist es notwendig, bestehende Defizite im Sportangebot und in der medizinischen Betreuung sporttreibender Diabetiker abzubauen. 

Dies scheint urnso zwingender, nachdem aufgrund der zum 1.7.1991 in Kraft getretenen Diabetes-Vereinbarung vom 1.4.1990 die Anforderungen an die inhaltliche Gestaltung von Programmen zur Schulung von Typ-ll-Diabetikem und deren Vergütung im Sinne einer kassenärztlichen Bundesvereinbarung geregelt ist. In der Anlage l dieser Vereinbarung umfaßt die Empfehlung für die 2. Unterrichtseinheit (2.2.c) auch die regelmäßige Bewegung. 

 

 

2. Zur Pathophysiologie des Diabetes mellitus 

Diabetes mellitus ist eine chronische Erkrankung, die auf Insulinmangel oder gestörter peripherer Insulinsensitivität beruht und bei der Stoffwechselprozesse, die durch Insulin unterhalten oder begünstigt werden, in ihrem Ablauf und Umsatz gestört sind. Man unterscheidet grundsätzlich zwei Diabetes-Typen. Können infolge einer pathologischen Veränderung der B-Zellen der Langerhans-lnseln, sehr selten auch durch die Bildung eines mutierten Insulins physiologisch notwendige Insulinkonzentrationen nicht erreicht werden, spricht man von Insulinmangel und Insulin-abhängigem Diabetes mellitus (Typ-I-Diabetes, Insulin Dependent Diabetes Mellitus, IDDM). Ein relativer Insulinmangel und damit keine Insulinabhängigkeit (Typ-II-Diabetes, Non Insulin Dependent Diabetes Mellitus, NIDDM) liegt vor, wenn trotz normaler oder oftmals sogar erhöhter Plasmainsulinkonzentrationen die metabolische Antwort im Organismus nicht ausreicht. 

2.1. Typ-I-Diabetes (IDDM) 

Das Krankheitsbild des Typ-l-Diabetikers entspricht dem meist im jugendlichen Alter auftretenden insulinabhängigen Diabetes (juveniler Diabetes). Eine wahrscheinlich durch Virusinfekte und/oder Autoimmunreaktion ausgelöste Zerstörung der B-Zellen führt in der Regel rasch zu einem akuten und absoluten Insulinmangel. Die Erkrankungswahrscheinlichkeit wird durch eine genetischen HLA-Spezifität (DR3-, DR4-Haplotyp) prädisponiert. 

Der absolute Insulinmangel hat für den Organismus folgende Konsequenzen: In der Muskulatur ist die Aufnahme und Oxidation der Glukose verlangsamt. Die Glykogenbio-synthese ist verzögert, die Proteolyse beschleunigt. Dadurch sind die hepatische Glukoseneubildung aus Aminosäuren und die damit verbundene Harnstoffbiosynthese gesteigert. Die so veränderte Stoffwechsellage in der Peripherie und der Leber führt zur Hyperglykämie und Glukosurie sowie zu einer negativen Stickstoffbilanz. Im Fettgewebe kommt es ebenfalls zur Verminderung der Glukoseaufnahme und -oxidation. Die Fettsäure-und Triglyzeridsynthese aus Fettsäuren und Glyzerophosphat werden gehemmt, es überwiegt dagegen die Freisetzung von freien Fettsäuren und Glyzerin ins zirkulierende Blut. Folgen sind erhöhte Serumkonzentrationen dieser Substrate sowie die darüber ausgelöste gesteigerte Fettsäureoxidation und Triglyzeridsynthese in der Leber. Dies hat einerseits eine überschießende Ketonkörperproduktion mit Ketonämie und Ketonurie und Ausbildung der metabolischen Azidose, andererseits die als massive Hypertriglyzeridämie in Erscheinung tretende VLDL-DysIipoproteinämie zur Folge. 

2.2. Typ-II-Diabetes (NIDDM) 

Im Gegensatz zum absoluten Insulinmangel stellt sich das Krankheitsbild des nicht-insulinabhängigen Typ-II-Diabetes meist erst im höheren Lebensalter ein (Erwachsenen-Diabetes). Der Erkrankungsbeginn verläuft meist wesentlich milder als beim Typ-I-Diabetiker. Im Anfangsstadium steht bei einer deutlichen Hyperglykämie eine Insulin-resistenz mit nur leicht erniedrigten oder normalen, häufig sogar erhöhten Insulinkonzentrationen im Vordergrund. Da der antilipolytische Effekt des Insulins am Fettgewebe erhalten ist, findet sich begleitend zur Insulinresistenz auch nach klinischer Manifestation des Diabetes in der Regel (ca. 80%) eine Adipositas. Beim adipösen Typ-II-Diabetiker (Typ-IIb) ist die Insulinresistenz Ausdruck eines Rezeptor- bzw. Postrezeptordefekts bei gleichzeitig gestörter Insulinsekretion nach Kohlenhydratbelastung. Möglicherweise wird diese Störung durch Varianten im Bereich des Insulin-Gens verursacht. Untersuchungen zum Restriktions-längenpolymorphismus im Bereich des Insulin-Gens am Chromosom 11 machen eine genetische Disposition für das kombinierte Auftreten von Insulinresistenz und Fettstoffwechselstörungen durch mögliche Veränderungen auch von benachbarten Genen, hier für spezifische Apolipoproteine (Apo A-I, Apo A-IV, Apo-CIII), wahrscheinlich. Da es sich beim Typ-II-Diabetiker um einen relativen Insulinmangel handelt, sind die spezifischen Störungen im Kohlenhydrat-, Lipid- und Proteinstoffwechsel und akute Stoffwechselkomplikationen, auch die Neigung zur Ketoazidose, gegenüber dem Typ-I-Diabetes vergleichsweise gering. 

2.3. Chronische Schädigung 

Die Folgen der chronisch veränderten Stoffwechselsituation äußern sich im diabetischen Spätsyndrom. Prognose und Schicksal des diabetischen Patienten hängen in erster Linie von den Spätkomplikationen an Augen, Nieren, Nerven- und Gefäßsystem ab. Die Ent-stehungsmechanismem zu diesem Symptomkomplex sind nicht im allen Einzelheiten bekannt. Vieles spricht dafür, daß es sich dabei nicht um einen primär spezifischen Krankheitsprozeß, sondern um die Folgen der unter Therapie nicht komplett normalisierten Stoffwechselstörung handelt. Im Vordergrund steht die erhöhte Blutglukosekonzentration als entscheidende Störgröße. Sie verursacht einerseits das Ausweichen einzelner Gewebe auf nichtglykolytische Stoffwechselwege (osmotische Zellschädigung), andererseits unspezifische Reaktionen von Membranen und anderen Gewebsanteilen (Glykierung und nicht enzymatische Hydroxylierung ), die als morphologische Grundlagen der unterschiedlichen Komplikationen anzusehen sind. Entsprechend haben zur Beurteilung der Therapiekontrolle und der damit verbundenen Verringerung von Spätkomplikationen die Bestimmung der Glykohämoglobine und Glykoproteine (HbA1, HbAlc, Fructosamin) eine herausragende Bedeutung gewonnen.

 

 

3. Zur Wechselwirkung zwischen Insulin, Insulinresistenz und Risikofaktoren der Koronaren Herzkrankheit 

Aufgrund umfangreicher epidemiologischer Studien sind heute Hypertonie, Hyperchole-sterinämie und Zigarettenrauchen als primäre kardiovaskuläre Risikofaktoren gesichert. Als zusätzliche Risikofaktoren gelten unter anderem Adipositas, Diabetes mellitus, niedrige HDL-Cholesterinkonzentrationen und erhöhte Triglyzeride. Gerade in Hinblick auf die therapeutische Beeeinflußbarkeit über körperliche Aktivität ist die Kumulationstendenz bestimmter Risikofaktoren bemerkenswert. Adipositas, Typ-II-Diabetes, Hypertonie, Hypercholesterinämie und Hypertriglyzeridämie treten häufig gemeinsam auf. So sind 80% der Typ-II-Diabetiker adipös, bei 50% aller Patienten mit frisch diagnostiziertem Typ-II-Diabetes besteht gleichzeitig auch eine Hypertonie. Man nimmt an, daß ca. 10% unserer Bevölkerung im mittleren Lebensalter das kardiovaskuläre Risikofaktorenmuster "Hypertonie, Übergewicht, Glukoseintoleranz, Dyslipoproteinämie" aufweisen. Die dieser Konstellation wahrscheinlich zugrundeliegende Insulin-Resistenz kann durch die Beurteilung der Insulin-Sensitivität peripherer Gewebe gegenüber Insulin objektiviert (Glukose-Clamp-Technik) werden; für die Praxis hat diese Methode allerdings keine Bedeutung. 

Die beschriebene enge Verbindung dieser Risikofaktoren führte zum Begriff des meta-bolisch-vaskulären Syndroms bzw. Insulin-Resistenz-Syndroms. Mit diesem Namen ist gleichzeitig ein Hinweis auf eine pathophysiologische Ursache der Atherosklerose gegeben. Bekannt ist die atherogene Potenz des Insulins bereits seit etwa 40 Jahren. So konnte im Tierversuch eine von der Insulinkonzentration abhängige Ausbildung von Atheromen und Gefäßwandläsionen aufgezeigt werden. An isolierten menschlichen Myozyten ließ sich eine Insulindosis abhängige Proliferationsneigung der glatten Muskelzellen nachweisen. Darüber hinaus stimuliert Insulin die Cholesterin-, Triglyzerid- und Fettsäuresynthese, steigert die Aufnahme und den Einbau von Lipiden über die vermehrte Aktivität des LDL-Rezeptors verschiedener Zelltypen und fördert schließlich die Blutgerinnung und die Bindegewebsproliferation. Insulin verstärkt damit die kardiovaskulären Risikofaktoren Hypercholesterinämie und Hypertonie. Über diesen Verstärkungsfaktor hinaus spielt die Hyperinsulinämie möglichweise eine Rolle in der Ätiologie der Hypertonie. Insulin steigert dosisabhängig die Natriumrückresorption in der Niere und erhöht über die Wasserretention das extrazelluläre Volumen. Gleichzeitig wird über den erhöhten Insulinspiegel die Aktivität des sympathoadrenergen Systems angehoben. Beide Mechanismen haben die Steigerung des Blutdrucks zur Folge. 

Die Insulinresistenz stellt damit eine gemeinsame pathogenetische Basis der verschiedenen kardiovaskulären Risikofaktoren dar. Die Verbesserung der peripheren Insulinsensitivität und Glukosetoleranz müssen deshalb das zentrale therapeutische Anliegen sein. Körperliche Aktivität und Sport bieten hierzu einen außergewöhnlich effektiven Ansatz.

 

 

4. Zur Wirkweise und Bedeutung körperlicher Aktivität für den Diabetiker 4.1. Zur grundsätzlichen Auswirkung der Muskelarbeit auf den Stoffwechsel 
  
Durch vermehrte körperliche Aktivität verbraucht der Körper und in erster Linie die arbeitende Muskulatur mehr Energie. Hierzu werden aus intra- und extramuskulären Speichern je nach Dauer und Intensität der Belastung in unterschiedlichen Anteilen Glukose und freie Fettsäuren für die muskuläre Energiegewinnung bereitgestellt. Der dabei erfolgende Zugriff auf die Blutglukose wird durch die Leber, zunächst über die Glykogenolyse, bei länger anhaltender Muskelarbeit vermehrt über die Glukoneogenese, kompensiert. Ausdauertrainierte zeigen eine verbesserte Glukosehomöostase; bei gleicher relativer Belastungsintensität verbrennen sie weniger Glukose und vermehrt freie Fettsäuren. Muskel- und Leberglykogendepots werden weniger in Anspruch genommen und abgebaut, die Blutglukosekonzentration fällt nur geringfügig ab. 

Bei der Anpassung der belastungsinduzierten Stoffwechselprozesse an körperliche Aktivität spielen als steuernde Hormone Insulin und Katecholamine eine zentrale Rolle. Mit Einsetzen der Muskeltätigkeit fällt die Blutglukose, gleichzeitig sinkt der Insulinspiegel ab; die Katecholamine, vorrangig Noradrenalin und mit zunehmendem mentalen Belastungsanteil auch Adrenalin, steigen an. Darüber wird einerseits die hemmende Wirkung des Insulins auf die hepatische Glukoseproduktion aufgehoben, andererseits werden Lipolyse und Glykogenolyse stimuliert. Die verstärkte Glukoseaufnahme durch die arbeitende Muskelzelle und eine dadurch ausgelöste, belastungsinduzierte Hypoglykämie kann so kompensiert werden. Der nachfolgende sequentielle Anstieg von Glukagon, STH und Cortisol stimuliert zusätzlich, vermehrt jetzt auch aus glukoplastischen Aminosäuren, die hepatische Glukoneogenese, die allerdings von einer gesteigerten Ketogenese und Harnstoffbiosynthese begleitet wird. 

Ingesamt führt Ausdauertraining zu einer erhöhten peripheren Sensibilität gegenüber Insulin und auch Katecholaminen. Durch die Umstellungen in der muskulären Energiebereitstellung werden die Glukosehomöostase stabilisiert, die Glykogenentleerung verzögert und durch die veränderte Utilisation im peripheren Substratangebot gleichzeitig die Serumkonzentrationen der Triglyzeride gesenkt und die des HDL-Cholesterins erhöht. 

4.2. Zur Situation des sporttreibenden Typ-I-Diabetikers 

Beim Typ-I-Diabetiker kann es in Abhängigkeit von der aktuellen Stoffwechsellage, der Dauer und Intensität der individuellen sportlichen Aktivität, der Nahrungszufuhr vor Belastung sowie des Trainingszustandes zu unterschiedlichen Stoffwechselreaktionen und damit auch Komplikationen kommen. 

4.2.1. Hypoglykämie 

Insulinüberschuß kann durch die blutzuckersenkende Wirkung des Insulins zur Hypo-glykämie führen. Da die Kohlenhydratreserven des Nervensystems beschränkt sind und Nervenzellen überwiegend Glukose als Energieträger verwerten, führt der Glukosemangel primär zu Störungen des Nervensystems; diese können sich in Schweißausbruch, Verwirrt-heit, Schwäche, Schwindel u.a., später in Krämpfen äußern. Die Hypoglykämie (Unterzuckerung) stellt die häufigste akute Komplikation der Behandlung des Typ-I-Diabetikers dar. Neben einem von der Sportausübung unabhängigen Insulinüberschuß bei Fehlapplikation von Insulin (z.B. Überdosierung, unerwartete Pause vor der Mahlzeit) setzt auch die körperliche Aktivität selbst spezifische regulative Veränderungen, die unter ungünstigen Voraussetzungen zur Hypoglykämie führen können. 

Da Insulin aus den subkutan eingespritzten Depots kontinuierlich und nicht nach Bedarf freigesetzt wird, ist beim Typ-I-Diabetiker während körperlicher Aktivität keine automatische Reduktion der Insulinabgabe, d.h. Drosselung der Insulinwirkung möglich. Es kommt im Gegenteil eher zu einer verstärkten Ausschwemmung von Insulin aus dem subkutanen Gewebe infolge mechanischer Stimulation oder auch Mehrdurchblutung des Injektionsgebietes. Dieser Effekt läßt sich auch durch die Auswahl der Injektionsstelle an einer weniger bewegten bzw. unbelasteten Körperregion nicht ausreichend steuern. Durch den unverändert hohen Insulinspiegel kann die unter Körperarbeit vermehrte Glukoseaufnahme in der arbeitenden Muskulatur nicht über eine gesteigerte hepatische Glukoseproduktion und -abgabe kompensiert werden. Bei anhaltender körperlicher Aktivität kann dieser blutzuckersenkende Effekt zu einer Hypoglykämie führen. Diesem Effekt muß durch gezielte Vorsichtsmaßnahmen (s. 5.1.) vorgebeugt werden. 

Hypoglykämien können allerdings nicht nur während der Belastungsphase, sondern auch in der Regeneration bis zu 14 Stunden nach Belastung, bevorzugt in der nächtlichen Schlafphase, auftreten. Die "späte" Hypoglykämie nach Belastung läßt sich über den vermehrten Glukosebedarf bei der Wiederauffüllung der zuvor entleerten Muskel- und Leberglykogenspeicher erklären. 

4.2.2. Hyperglykämie und Ketoazidose 

Körperliche Aktivität kann bei Typ-I-Diabetikem auch zur Hyperglykämie führen. Wird bei dekompensierter Stoffwechsellage, d.h. im Insulinmangel Sport getrieben, so ist der "permissive Effekt" des Insulins für die muskuläre Aufnahme von Glukose nicht mehr ausreichend. Gleichzeitig fehlt die Hemmung der hepatischen Glukoseproduktion; damit steigt die zirkulierende Blutglukose trotz Muskelarbeit an. So kann es schließlich unter körperlicher Arbeit bei fehlendem Insulin über eine komplette Enthemmung von Lipolyse und Gluconeogenese zur kritischen, ketoazidotischen Entgleisung des Stoffwechsels kommen. 
In diesem Fall sind Anstiege der Konzentration des Blutzuckers auf Werte über 400 mg/dl und der Serumketonkörper bis über 4 mmol/l möglich. Die Gefahr einer derartigen bela-stungsinduzierten Stoffwechselentgleisung kann durch die Selbstkontrolle des Typ-I-Diabetikers aktuell erkannt werden. Die vom kompensierten Diabetes bekannte Blutzuckersenkung unter körperlicher Aktivität kann bei Blutzuckerausgangswerten von 300 mg/dl und mehr zu Beginn der Belastung nicht mehr erwartet werden (s. 5.1.). 

4.2.3. Sport als Therapeutikum bei Typ-I-Diabetiker ? 

Für den Typ-I-Diabetiker bedeutet die über den Sport erreichbare Erhöhung seiner peripheren Insulin-Sensitivität nicht automatisch auch eine Verbesserung der diabetischen Stoffwechsellage. Es wäre zwar theoretisch denkbar, körperliche Aktivität vor allem postprandial als blutzuckersenkenden Faktor einzusetzen, jedoch wäre dies nur unter quantitativ standardisierten Bedingungen hinsichtlich Uhrzeit, Intensität und Dauer möglich und würde für den ohnehin im Alltag vielfach reglementierten Typ-I-Diabetiker eine weitere, nicht erwünschte Einengung seines persönlichen Freiheitsraumes bedeuten. Eine möglichst optimale und prognostisch wirksame Stoffwechseleinstellung ist sicherer durch Insulin als über den Sport zu erreichen. 

So führen Sport oder Trainingsprogramme in der Regel nur dann auch zur einer verbesserten Stoffwechselkontrolle, wenn parallel zum Sport Diabetikerschulungen durchgeführt werden, die dem sporttreibenden Patienten praktische Anweisungen zur Regulation des vermehrten Energieumsatz und zur Vermeidung von Hypoglykämien während und nach der Belastung bieten. Querschnitts- wie auch erste Verlaufsuntersuchungen an sporttreibenden Typ-I-Diabetikern lassen einen günstigen Einfluß der regelmäßigen Aktivität auf die Langzeitprognose vermuten; kontrollierte prospektive Studien zur Beschreibung von positiven Effekten des Sport auf die Komplikationsrate infolge Mikro- und Makroangiopathien liegen allerdings weiterhin nicht vor. 

4.3. Zur Situation des sporttreibenden Typ-II-Diabetikers 4.3.1. Komplikationen beim Sport 

Aufgrund der beim Typ-II-Diabetiker in der Regel vorhandenen, zur permissiven Wirkung am Muskel ausreichenden Restinsulinmenge kommt es seltener als beim Typ-I-Diabetiker zu gefährlichen hyperglykämisch-ketoazidotischen Stoffwechselentgleisungen. Unter medikamentöser Behandlung mit Insulin und Sulfonamid-Derivaten kann es, bedingt durch die Hemmung der hepatischen Glukoseproduktion, unter Belastung zu Hypoglykämien kommen. Entsprechend wird empfohlen, die Dosierung der jeweiligen Medikation mit Insulin bzw. Sulfonamid-Derivaten unter körperlicher Mehrbelastung individuell zu reduzieren. Systematische Studien zur Komplikationsrate der Hyperglykämie beim Typ-II-Diabetiker liegen nicht vor. 

4.3.2. Sport als Therapeutikum beim Typ-II-Diabetiker 

Im Gegensatz zum Typ-I-Diabetiker wird der durch körperliches Training erzielbaren Verminderung der Insulinresistenz beim Typ-II-Diabetiker ein wichtiger therapeutischer Stellenwert zur Verbesserung der Stoffwechselkontrolle zugemessen. Die verbesserte Stoffwechsellage läßt sich bei regelmäßiger Teilnahme an der Sporttherapie anhand von Stoffwechseldaten wie der Verbesserung der Glukosetoleranz oder der Erniedrigung in der Konzentration des glykierten Hämoglobins HbA1 bzw. HbAlc objektivieren. In der Regel ist die Verbesserung der diabetischen Stoffwechsellage mit einer Zunahme der aeroben Leistungsfähigkeit und der Ausdauerleistungsfähigkeit verbunden. Grundsätzlich scheinen Patienten mit noch vorhandener Fähigkeit einer erhöhten Insulinsekretion bei bestehender peripherer Insulinresistenz auf körperliches Training therapeutisch besonders gut zu reagieren. 

Aufgrund der engen Verknüpfung von Typ-II-Diabetes und weiteren Risikofaktoren der koronaren Herzkrankheit (s. 3) sind die durch Sport und Training ausgelösten Umstellungsreaktionen im Lipid- und Lipoproteinstoffwechsel, die Beeinflussung von Hypertonus und Übergewicht sowie Verbesserungen in blutrheologischen Größen für das Atheroskleroserisiko des Typ-II-Diabetikers von herausragender Bedeutung. Der prophylaktische und damit prognostisch günstige Wert der regelmäßigen Ausdaueraktivität scheint allerdings vor allem für den Diabetiker im mittleren Lebensalter ohne bereits ausgeprägte atherosklerotische Veränderungen oder Spätveränderungen nachweisbar. Bei jüngeren Patienten, die bereits eine eingeschränkte Glukosetoleranz bei gleichzeitiger familiärer Disposition aufweisen, scheint Ausdauertraining geeignet zu sein, um die Manifestation des Diabetes zu verhindern. Der Zusammenhang zwischen Sportanamnese und Diabetesinzidenz ist aus einer Längsschnittsstudie an über 5000 College-Abgängern statistisch belegt. Für das Patientenkollektiv der älteren, d.h. über 60 jährigen Typ-II-Diabetiker mit bereits bestehenden Komplikationen oder sogar Kontraindikationen gegen einen gezielten Ausdauersport steht dagegen nicht mehr die Stoffwechselwirkung des Trainings im Vordergrund, sondern die in der Gruppe vermittelte Ernährungsberatung und die damit verbundene Gewichtsreduktion.

 

 

5. Zur Organisation, Durchführung und Auswahl von Trainings- und Sportprogrammen 

5.1. Sport bei Typ-I-Diabetes 

Obwohl sich die metabolische Situation durch Sport für den Typ-I-Diabetiker nicht verbessern läßt, ist es eine wichtige Aufgabe für den betreuenden Diabetologen, seinen Patienten in die Lage zu versetzen, Sport treiben zu können. Nach entsprechender Anleitung sollte sich der Typ-I-Diabetiker körperlichen Belastungen aussetzen können, ohne Entgleisungen seines Stoffwechsels zu riskieren oder auszulösen. Körperliche Mehraktivität nimmt Einfluß auf die körperliche und psychische Entwicklung und Leistungsfähigkeit, deren Auswirkungen vom Stoffwechselgesunden ohne Einschränkung auch auf den Diabetiker übertragen werden darf. Untersuchungen zeigen, daß der Trainingszustand von Diabetikern auf Grund einer häufig nur geringen körperlichen Belastung im Alltag gegenüber Gleichaltrigen meist reduziert ist. So nehmen in der BRD bereits im Schulalter weniger als 50% befragter Kinder mit Typ-I-Diabetes regelmäßig am Schulsport teil. Körperliche Aktivität und die Teilnahme am Sport stellen aber gerade für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene wesentliche Komponenten zur Persönlichkeitsentwicklung und Sozialisation und damit zum psychischen Wohlbefinden dar. Angst vor Komplikationen unter körperlicher Aktivität können beim Typ-I-Diabetiker Auslöser für krankhafte Verhaltensmuster und ein gestörtes Alltagsverhalten sein. Der psycho-sozialen Komponente und dem gegebenenfalls durch den Diabetes gestörten Körperselbstbild kommen deshalb in der Führung und Therapie des Typ-I-Diabetikers eine zentrale Bedeutung zu. Sportliche Betätigung als Sport trotz Diabetes kann im Rahmen der Schulung und Motivation des Typ-I-Diabetikers eine Hilfe zur optimalen Stoffwechselführung darstellen. 

5.2. Voraussetzungen für den Sport des Typ-I-Diabetikers 

Sport ist für Typ-I-Diabetiker nur dann durchführbar, wenn er nach entsprechender Schulung in der Lage ist, mittels aktueller Selbstkontrollen von Blutzucker und Urinaceton seine Stoffwechselsituation zu überwachen und entsprechend adäquat Insulindosen zu applizieren bzw. die sportliche Betätigung wie auch die Nahrungszufuhr zu steuern. Die individuelle Reaktion auf eine sportliche Betätigung und die dadurch ausgelöste Stoffwechselsituation lassen sich allerdings nur generell in allgemeingültigen Regeln formulieren, sie müssen aber ständig durch Selbstkontrollen überwacht und individuell herausgefunden werden. Hierbei sollten die folgenden Grundsätze Beachtung finden: 

l. Der sportlichen Betätigung des Typ-I-Diabetikers muß immer eine ärztliche Voruntersuchung vorausgehen, um mögliche Kontraindikationen auszuschließen. Akut sind dies die Neigung zur Stoffwechseldekompensation bei inadäquater Therapie sowie die Unfähigkeit zur Selbstkontrolle im Rahmen der Sportausübung; zur Feststellung der Sporttauglichkeit müssen bereits vorhandene mikroangiopathische Veränderungen, manifeste Neuropathien (Verletzungsgefahr) und Retinopathien (Gefahr von Blutdruckspitzen und Valsalva-Situationen), die den Patienten im Rahmen der Sporttherapie zusätzlich gefährden können, berücksichtigt werden. 

2. Um einer belastungsinduzierten Hypoglykämie vorzubeugen, ist es notwendig, vor der sportlichen Betätigung entweder die Insulinzufuhr zu reduzieren oder zusätzliche Kohlenhydrate zuzuführen bzw. beide Maßnahmen zu kombinieren. Ausschlaggebend für die Art der Maßnahme sind die zu erwartende Dauer und Intensität der Belastung, der Abstand zur letzten Mahlzeit sowie der aktuelle Blutzuckerspiegel vor Belastung. Eine Reduzierung der Insulindosis ist besonders dann praktikabel, wenn der Umfang der Belastung möglichst exakt vorhersehbar ist. Bei ganztägigen moderaten Belastungen (z.B. Fahrradtour, Wanderung) sind Einsparungen um 60% der morgendlichen Insulindosis bei normalem Blutzuckerausgangsspiegel (~120 mg/dl) üblich; während der Tour müssen allerdings immer wieder Pausen mit Selbstkontrollen und Möglichkeiten für Zwischenmahlzeiten gegeben sein. Bei größeren intensiven Ausdauerbelastungen (z.B. Marathonlauf) sind Einsparungen in der morgendlichen Insulindosis bis zu 90% vorzunehmen. Bei kürzeren (bis 120 Minuten), auch intensiven Belastungen im Tagesverlauf empfiehlt es sich nicht, die Morgeninsulindosis zu reduzieren; hier kann nach individueller Erfahrung die abendliche Insulindosis reduziert werden. In jedem Fall sollte auch bei der auf den Sport nachfolgenden Insulindosis die Möglichkeit einer Reduzierung bedacht werden. 

3. Bei weniger intensiven Ausdauerbelastungen (im Stundenbereich z.B. Schulsport, Tennis, Fußball) reicht es in der Regel aus, vor und nach, individuell auch noch während der Belastung Zusatz-BE zuzuführen. In jedem Fall müssen sportbegleitende Blutzuckerselbstkontrollen durchgeführt werden. Für die Kohlenhydratmenge ist der jeweilige Blutzuckerausgangswert entscheidend; bei einem Ausgangswert von 80 mg/dl werden 3-4 Zusatz-BE, bei Werten zwischen 80-150 mg/dl 2-3 Zusatz-BE, bei Werten über 150 mg/dl 0-2 Zusatz-BE empfohlen. Auch bei der Auswahl der Getränke (z.B. isotonische Sportlergetränke!) muß die Kohlenhydratzufuhr berücksichtigt werden. 

4. Für den Fall, daß es trotz solcher Sicherheitsmaßnahmen zu hypoglykämischen Situationen kommt, muß der sporttreibende Typ-I-Diabetiker schnell-resorbierbare Kohlenhydratreserven (Würfel-, Traubenzucker, Obstsäfte mit Zucker, Obst) bei sich haben, um diese bei Auftreten der ersten Warnzeichen sofort einzunehmen. 

5. Bei ganztägigen Belastungen oder intensivem Sport am Nachmittag muß unmittelbar vor dem Schlafengehen der Blutzucker kontrolliert werden, um nächtliche Hypoglykämien zu vermeiden. Liegt der Blutzuckerspiegel unter 130 mg/dl müssen vor dem Einschlafen zusätzliche Kohlenhydrate zugeführt werden. 

6. Zeigt die Blutzuckerselbstkontrolle vor Sportbeginn eine schlechte Ausgangslage, d.h. Konzentrationen von 300 mg/dl und mehr bei gleichzeitig positivem Acetonnachweis im Urin, so ist jede Sportausübung wegen der Gefahr der weiteren Stoffwechseldekompensation (Ketoazidose) kontraindiziert. Das Vorliegen einer solchen Stoffwechselsituation erfordert eine zusätzliche Insulinapplikation und körperliche Ruhe bis zur Normalisierung des Blutzuckers. 

Die für die Insulin-Injektionstherapie gültigen Grundsätze gelten im Prinzip auch für den Insulin-Pumpenträger. Bei Belastungen über 120 Minuten Dauer sollte auch hier über die Reduktion der basalen Pumprate während (bis 100%) und 4-6 Stunden nach Belastung (um 25%) auf die veränderte Stoffwechselsituation eingegangen werden. Mehrstündige intensive Belastungen machen eine zusätzliche Reduzierung der Bolusgabe für die letzte Mahlzeit vor Sportbeginn (um 50%) erforderlich, falls diese im 60 Minutenbereich vor Belastungsbeginn eingenommen wird. Auch der Pumpenträger muß prinzipiell regelmäßig Blutzuckerselbstkontrollen während des Sports durchführen und je nach Blutzuckerspiegel Zusatz-BE (s. auch Grundsatz 3 und 4) zuführen. 

Bei guter Stoffwechsellage und Compliance sowie umfangreicher Eigenerfahrung ist beim Typ-I-Diabetes keine grundsätzliche Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit gegeben. In diesem Sinne stellt der Typ-I-Diabetes auch keine absolute Kontraindikation gegen die Ausübung von Wettkampf- und Leistungssport dar. Zu arbeitsmedizinischen bzw. rechtlichen Einschränkungen siehe 5.4.. 

5.3. Sport bei Typ-II-Diabetes 

Im Gegensatz zum Typ-I-Diabetes sind für den Typ-II-Diabetiker in Abhängigkeit von der bestehenden Insulinresistenz und von bereits manifesten Schädigungen positive Auswirkungen auf das Krankheitsbild zu erwarten, die das Angebot von Sport und Training auch im Sinne eines therapeutischen Konzeptes (z.B. Diabetes-Gruppen) (s. 4.3.) sinnvoll erscheinen lassen. Anders als beim Typ-I-Diabetiker steht für den Typ-II-Patienten nicht die Angst vor unmittelbaren Komplikationen während der Sportausübung im Vordergrund, sondern die Schwierigkeit, sich mit dem Hindernis des eigenen, in der Regel untrainierten und übergewichtigen Körpers auseinanderzusetzen und dies zu überwinden. Daraus ergibt sich für den betreuenden Arzt von Typ-II-Diabetikern das Problem, seinen oft antriebsschwachen und trägen Patienten zu regelmäßigem Sporttreiben zu motivieren, um fixierte Verhaltensmuster zu lösen und positiv zu verändern. Zur Motivationsarbeit des Arztes gehört deshalb mehr als nur die Aufforderung oder Empfehlung, Sport zu treiben oder sich einer Diabetes-Gruppe anzuschließen, sondern auch die Aufklärung über die spezifischen Zusammenhänge zwischen Aktivitätsanamnese, Ernährungsverhalten und Entwicklung von chronischen Krankheiten. Die Erfahrung mit sporttreibenden Typ-II-Diabetikern hat gezeigt, daß ein gezieltes und erfolgreiches Trainingsprogramm erst nach einer einführenden Informationsphase aufgebaut werden kann. Hilfreich und erfolgsunterstützend sind neben den Übungsstunden die Vermittlung von praxisnahen Heimprogrammen sowie trainingsbegleitende Kontrollen zur Gewichtsreduktion bzw. -konstanz. Bei regelmäßigen Teilnahme an Trainings- oder Übungsprogrammen ist für den Typ-II-Diabetiker in der Regel auch eine Verbesserung der körperlichen Belastbarkeit und Ausdauerleistungsfähigkeit nachweisbar. 

Vor Aufnahme von Trainings- und Übungsprogrammen ist auch für den Typ-II-Diabetiker eine ärztliche Voruntersuchung verpflichtend (s. auch 5.2., Grundsatz l), 

- um Kontraindikationen (periphere Polyneuropathie, Retinaschädigung, Hautulzera), die die Sportausübung behindern oder die Gesundheit des Patienten im Rahmen der Sporttherapie zusätzlich gefährden können, auszuschließen und 

- um Begleitfaktoren, die unabhängig von der Primärerkrankung die Belastbarkeit 

einschränken können (KHK, Hypertonie, orthopäd. Erkrankungen) zu berücksichtigen. Bei diabetischen KHK-Patienten ist auf Grund veränderter Schmerzperzeption mit einer verzögerten Anginaschwelle und einer möglichen stummen Myokardischämie unter Belastung zu rechnen. Bei bestehender Belastungskoronarinsuffizienz sollte deshalb die Trainingsintensität streng nach den Kriterien der symptomlimitierten Belastbarkeit festgelegt werden, um die Gefahr einer schwerwiegenden belastungsinduzierten Myokardischämie während der Sporttherapie gering zu halten bzw. zu vermeiden. 

5.4. Zur Auswahl der Sportarten für den Diabetiker 

Diabetiker, die entsprechend Alter und Engagement - eine notwendige Eigenerfahrung und Schulung zur Selbstkontrolle vorausgesetzt - Interesse an der Ausübung eines regelmäßigen Freizeitsports über das mögliche Angebot von Sportprogrammen in der Gruppe hinaus haben, können entsprechend den oben genannten Grundsätzen und Indikationen auch Freizeitaktivitäten nachgehen. Prinzipiell sind dabei aus sportmedizinisch therapeutischer Sicht ausdauerorientierte Sportarten bei submaximalen Intensitäten und mit kalkulierbaren Umfängen und Belastungen zu empfehlen wie  
Joggen, Wandern, Radfahren, Skilanglauf, Schwimmen, Rudern, Tanzen 

Möglich, aber in ihrer Ausübung schwieriger zu steuern und entsprechend zu kalkulieren und damit nur bedingt zu empfehlen, sind  
technische Disziplinen der Leichtathletik, Tennis, Reiten, Ball- und Mannschaftsspiele, Bergwandern, Kraft- und Kampfsportarten. 

Maximalkraftübungen und Kraftübungen mit überwiegend isometrischem Anteil sollten vermieden werden, da sie akut einen überhöhten Blutdruckanstieg verursachen und zudem für die arbeitende Muskulatur nicht durchblutungsfördend sind. 

Aus arbeitsmedizinisch bzw. rechtlicher Sicht sind mit Hinblick auf einem möglichen sportbezogenen Schadensfall, der sich infolge der Grunderkrankung als Risikofaktor und wesentliche Teilursache von Sportunfällen ereignen kann, bestimmte Sportarten für den Diabetiker, insbesondere den Typ-I-Diabetiker mit Neigung zu Stoffwechselentgleisungen, nicht geeignet. Dies gilt prinzipiell für den medikamentös behandlungsbedürftigen Diabetiker. Für den rein diätetisch zu behandelnden Diabetiker gibt es dagegen keine Einschränkungen. Sportarten mit besonderer Unfallgefährdung der eigenen Person und anderer infolge plötzlich auftretender Hypoglykämien sind u.a. 
Klettern, Fallschirmspringen, Drachen- und Gleitschirmfliegen, Segelfliegen, Motorsportarten, Rodeln, Bobfahren, Wildwasserkajak, Tauchen. 

5.5. Beispiele von Modellversuchen für Diabetikersport 

Trotz des aufgezeigten Stellenwerts sportlicher Betätigung für den Diabetiker sind im Gegensatz zu Original- oder Übersichtsarbeiten verschiedener medizinisch-wissenschaftlicher Arbeitskreise offiziell von Trägerschaften herausgegebene Dokumentationen oder Anleitungen zum Sport von Diabetikern in der BRD nur in wenigen Fällen vorhanden (s. Beispiel: Materialien zum Sport in NRW "Sport mit Diabetikern", Schriftenreihe des Kultusministers NRW, Heft 17). Entsprechend sind exemplarische Darstellungen von Sportoder Trainingsveranstaltungen für den Typ-I wie auch Typ-II-Diabetiker zur gezielten Gestaltung von Übungsstunden und zum Aufbau von Diabetesgruppen meist nur in Form universitätsinterner Dissertationen, Diplom- oder Zulassungsarbeiten, nicht aber in allgemein zugänglicher Form über Verbände oder verantwortliche Fachorganisationen beziehbar.

 

 

6. Zur Aus- und Fortbildung des Übungsleiters und betreuenden Arztes 

Wie bereits unter 5.5. erwähnt, liegen nur in Ausnahmefällen Anleitungen oder Empfehlungen zur Sportausübung und Sportüberwachung von Diabetikern vor. Dies trifft auch auf die Aus- und Fortbildung von betreuenden bzw. überwachenden Ärzten und Übungsleitern im Bereich Diabetes zu. Ein Konzept, das mit dem Curriculum zur Ausbildung von Herzgruppenärzten bzw. -Übungsleitern vergleichbar wäre, existiert nicht. 

Auf Landesebene wurde 1988 vom Behindertensportverband Nordrheinwestfalen (BS NW) ein Ausbildungskonzept "Diabetes und Sport" verabschiedet; es umfaßt insgesamt 60 definierte Unterrichtseinheiten. Das Programm wurde wissenschaftlich durch die Deutsche Sporthochschule Köln sowie der Universität Düsseldorf begleitet. Zur Durchführung des Sportgruppenangebotes (Typ-II-Diabetiker) wurde verbindlich vorausgesetzt: 

- eine medizinische Voruntersuchungen sowie weitere Kontrolluntersuchung des Patienten 

- ein speziell nach den Richtlinien des BS NW ausgebildeter Übungsleiter 

- die Anwesenheit eines Arztes mit der Möglichkeit der Blutzuckerkontrolle sowie Vorhandensein einer Notfallausrüstung, da bei dem betreuten Patientengut aufgrund der Sekundärerkrankungen eine besondere Problematik bei der Durchführung des Sportangebotes entstehen könnte. 

Von verschiedenen Landessportverbänden, z.B. dem Badenwürttembergischen Behindertensportverband (BWB) wird der Bereich "Diabetes" im Konzept des Übungsleiters "R" (Rehabilitation) mitlerweile offiziell geführt. Über diesen Weg sind regelmäßige Ausbildungsgänge nach einem inzwischen verabschiedeten Curriculum vorgegeben. 

Ein einheitliches Ausbildungskonzept für den betreuenden Arzt und Übungsleiter von Diabetesgruppen (Therapiegruppen für Typ-II-Diabetiker) sollte auf den jeweiligen Landesebenen in Zusammenarbeit von DSÄB, LSV und BSV in Anlehnung an das Konzept der Herzgruppen angestrebt werden. Entsprechend der gültigen Diabetes-Vereinbarung (s. auch 7.) sollten die in der Anlage 2 zur Vereinbarung genannten Voraussetzungen zur Durchführung einer programmierten Schulung und Betreuung von Typ-II-Diabetikern über das Angebot spezifischer Seminarveranstaltungen für Ärzte und Übungsleiter, vergleichbar zum Praxispersonal, abgesichert sein. 

Bei der ärztlichen Betreuung sollte bei Beachtung der unter 5.2, 5.3., 5.4. aufgezeigten Maßstäbe zwischen Typ-II-Diabetikem mit und ohne Sekundärerkrankungen (z.B. KHK) unterschieden werden; die Anwesenheit eines Arztes bei Sportprogrammen mit Typ-II-Diabetikem ohne Sekundärerkrankungen erscheint bei entsprechender Ausbildung des Übungsleiters, Vorhandensein einer Blutzuckertestmöglichkeit sowie ausreichender Schulung der Patienten nicht zwingend erforderlich.

 

 

7. Zum Angebot von Begleitprogrammen für die Teilnehmer von Diabetesgruppen (Diabetes-Vereinbarung vom 1.4.1990) 

Die Diabetes-Vereinbarung vom 1.4.1990 regelt im Sinne einer Richtlinie der kassenärztlichen Bundesvereinigung die programmierte Schulung und Betreuung von Patienten mit Typ-II-Diabetes in Gruppen. Im Rahmen von Trainingsprogrammen können durch den betreuenden Arzt bzw. dessen Personal (hier auch Übungsleiter) durchaus auch die in der Vereinbarung aufgeführten Anforderungen an die inhaltliche Gestaltung von Programmen zur Schulung von Typ-II-Diabetikem erfüllt werden.

 

 

8. Resümee 

Unter Einhaltung der genannten Kontraindikationen und Beachtung der aufgezeigten Vorsichtsmaßnahmen machen der gesundheitliche Nutzen und die gesteigerte Lebensfreude eine regelmäßige körperliche Aktivität, sowohl für den Typ-I- als auch für den Typ-II-Diabetiker, empfehlenswert. Dabei steht ein "Sport trotz Diabetes" bei Typ-I-Diabetes und ein "Sport wegen Diabetes" bei Typ-II-Diabetes im Vordergrund. Unabhängig von der jeweiligen Intention sollte allerdings die medizinische Betreuung des sporttreibenden Diabetikers sowie im individuellen Fall auch die Überwachung der Sportausübung von Diabetikern gesichert sein.

 

 

9. Weiterführende Literatur 

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